Ich hatte so eine Ahnung. Die habe ich immer, wenn es um Vampire geht. Ein warnendes Kribbeln in meinem Nacken, ein dumpfes Bauchgefühl ... Kaum war die nette, alte Lady wieder in ihrer Küche verschwunden, stellte es sich ein. Die Gabel mit dem Rührei verharrte für einen Moment reglos in meinem geöffneten Mund, als ich mitten in der Bewegung einfror. Dann fiel sie mit lautem Geklapper auf den Teller zurück und mein Stuhl im gleichen Augenblick zu Boden - dann nämlich, als ich alarmiert aufsprang und zur Küchentür herumwirbelte.
Ein Vampir! Hinter dieser Tür! Ich sah ihn nicht, ich wusste es einfach. Mit einem Satz sprang ich über meinen auf dem Boden liegenden Stuhl hinweg und stürzte in die Küche hinein. Und noch während ich das tat, riss ich Pflock und Kreuz aus meiner Lederjacke (für die, die meinen, Pflock und Kreuz wären Klischees und würden bei Vampiren nicht wirken, weil das ja neuerdings in allen Vampir-Filmen so dargestellt wird: Ohne diese Dinger bist du am Arsch, wenn du den Blutsaugern gegenüber trittst!). "HEY, du Frettchen!!!", herrschte ich den Mistkerl an, der sich drohend vor dem geöffneten Fenster aufgebaut hatte und wild herumfauchte - dabei die alte Lady so erschreckte, dass sie aussah, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. "Du hast beim FALSCHEN Haus angeklopft!!" Aber sowas von ...! Noch während mich der Freak mit seinen blutroten Augen angierte, als wäre ich ein leckerer Burger auf zwei Beinen, flog ich an der inzwischen tatsächlich ohnmächtig am Boden liegenden Lady vorbei und mit einem Hechtsprung durch das offene Fenster. Es krachte, als ich gegen den Untoten knallte. In einem Knäuel fuchtelnder Arme und strampelnder Beine ging ich mit ihm zu Boden, und wir rollten gemeinsam durch den sorgsam gepflegten Vorgarten. Dabei verlor ich leider mein Kreuz. "WILLST ... DU ... WOHL ... STILLHALTEN!!!", presste ich hervor, den Pflock um so fester umklammernd, dabei versuchte ich, die Oberhand zu gewinnen. Das war gar nicht so leicht, denn diese Vampirtypen sind höllenstark und verdammt schnell. Und so geschah es nur allzu bald, dass er oben zu liegen kam und ich unten. Aber ich besaß einen Vorteil: Ich hatte mich wie an jedem anderen Tag auch mit geweihtem Wasser gewaschen - eine meiner unkonventionelleren Vorsichtsmaßnahmen, die sich schon öfter bezahlt gemacht hatten. Und als der Kerl mich nun am Hals packte, um mich zu beißen, verbrannte er sich die Flossen. "Aaaargh!!!" So ungefähr klang das Gejammer, als er unwillkürlich hoch zuckte und sich die Handfläche an seiner Jacke abrieb. Ich nutzte den Moment seiner Unachtsamkeit und stieß ihm meinen Pflock mitten durchs Herz.
Er schrie. In solch hohen Frequenzen, dass meine Ohren schmerzten. Dann setzte der Verfallsprozess ein. Wie in Zeitraffer begann er zu verwesen, wurde zu Schleim, der auf mich niedertropfte, dann zu Asche. "Wuäh!", gab ich angewidert von mir und klopfte die Asche so heftig von mir, dass sie mich wie eine graue Staubwolke einzuhüllen begann. Der Kerl war nicht der erste Vampir gewesen, der vor meinen Augen zerfiel, aber er war definitiv der erste gewesen, der dabei auf mich drauf fiel! Ein leichter Wind kam auf und trug die Überreste des Blutsaugers mit sich fort.
Ich wandte mich dem Haus zu, sammelte mein Kreuz ein und zog mich am Fenster hoch. Mit etwas Schwung stand ich kurz darauf wieder in der Küche, wo nach wie vor die alte Lady reglos auf dem Boden lag. Ich kniete mich neben sie und fühlte nach ihrem Puls (ich muss wohl nicht erwähnen, dass ich dabei kritisch ihren Hals beäugte - war der Vampir schon zum Zug gekommen?). Nur einen Sekundenbruchteil später schlug sie ihre Augen auf und sah mich verwirrt an. "Wer ... was ... wo bin ich?" Ich hatte keine Bissstellen an ihrem Hals entdeckt, und so sah ich davon ab, meinen Pflock wieder zum Einsatz zu bringen. Den verbarg ich samt Kreuz erst mal lieber hinter meinem Rücken, denn ich vermutete, dass sie wohl gleich wieder in Ohnmacht fallen würde, wenn sie erst einen Blick auf das bluttriefende Holz geworfen hätte. "In Ihrer Küche, Mam. Sie sind offenbar ohnmächtig geworden. Kommen Sie, ich helfe Ihnen auf!" Hilfsbereit legte ich ihr meinen freien Arm um die Schulter und zog die Lady hoch. Gar nicht so leicht, denn sie war eine wohlgenährte, rundliche Dame.
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