Ein silbriger Wirbel, ein kurzzeitiges Gefühl, an zwei Orten gleichzeitig zu sein - die übliche Empfindung bei einem Transportvorgang. Dann ein Fall aus geringer Höhe mitten in eine Schneewehe hinein. Kalte, stechende Kristalle fliegen pulvrig hoch, dringen in seinen Mund und in seine Nase, legen sich auf seine Wimpern und nehmen ihm kurzzeitig die Sicht. John stört es nicht. Er bemerkt es nicht einmal. Geschafft! - Das war knapp! Gerade noch rechtzeitig war es ihm gelungen, den Transporterraum des sulibanischen Tarnkappenkreuzers zu erreichen und seine Fluchtkoordinaten in die Konsole einzugeben. Gerade noch rechtzeitig mit einem Hechtsprung auf die Transporterplattform zu gelangen, mitten hinein in den Beamvorgang, ehe seine Verfolger ihm in den Rücken schießen konnten. Aber ganz ohne Andenken ist er ihnen nicht erwischt. Ein scharfer Schmerz am linken Oberarm durchschneidet die Erleichterung über die gelungene Flucht wie ein Messer. John zieht zischend die Luft durch die Zähne und öffnet blinzelnd die Augen, um sich den Treffer anzusehen. Zerfetzter, versengter Stoff dicht unter dem Holobilderzeuger, dazu brenzliger Geruch nach verbranntem Fleisch. Schmerzhaft, aber nicht gefährlich - zumal die Hitze der sulibanischen Phasenwaffe sein Fleisch kauterisiert hat und er kein Blut verliert. Glück im Unglück! Was den Umstand, dass der Holobilderzeuger nur knapp verfehlt worden ist und noch funktioniert, mit einschließt. John tippt auf das kleine unscheinbare Gerät und deaktiviert es damit. Augenblicklich verändert sich seine Gestalt. Seine Haut, eben noch in einem pockigen, irrisierenden Mix aus Grün, Gelb und Braun schimmernd, glättet sich und nimmt die blaßrosige Farbe eines hellhäutigen Europäers im Winter an. Sein Kopf, vorher kahl, bedeckt sich mit dunkelbraunem, kurzem Haar und sein Gesicht, vor einem Augenblick noch brauen-, wimpern- und konturlos, nimmt die scharfen, ernsten Züge eines Mannes Ende Dreißig an. Eines Mannes mit grauen Augen, welche zuvor noch fremdartig neongrün geglommen haben. Nur die Kleidung verändert sich nicht. Statt der graublauen Uniform, die er üblicherweise trägt, bedeckt roter, grober Stoff seine schlanke Gestalt. Nicht gerade der beste Schutz gegen Kanadas arktische Winterkälte. Aber lieber erfrieren als von hinten erschossen werden! Und den Kältetod ist er ja noch nicht gestorben. Noch nicht!
John setzt sich auf und atmet tief durch. Weiße Wölkchen bilden sich vor seinem Gesicht und gefrieren prompt auf seiner Haut. Er sieht sich um und stellt fest, dass er sich außerhalb der Stadt materialisiert hat. Eigentlich ist sein Ziel der Stadtrand gewesen. In der Hektik seiner Flucht muss er die Koordinaten ungenau eingegeben haben. Pech für ihn und gleichzeitig Glück. Hier draußen sind die Subraumspalten vermutlich nicht so zahlreich. In Calgary selbst muss es jedoch eine Menge davon geben, so dicht am sulibanischen Kreuzer. Er hätte genauso gut in eine dieser Spalten hineinbeamen können, und dann wäre er wer weiß wo rausgekommen. 'Oder besser, wer weiß wann!', fährt es ihm sarkastisch durch den Kopf. Sein Blick saugt sich an dem Tarnkappenkreuzer fest, der wie ein Todesengel über dem Zentrum von Calgary hängt und giftgrüne Blitze auf die Stadt unter sich wirft. Der Lärm der Zerstörung ist enorm in der ansonsten stillen Winternacht. John löst sich vom Anblick des Schiffes und sucht den Stadtrand mit seinem Blick ab. Ganz sicher werden sie noch dort sein. Er hat mitbekommen, dass Silik Truppen hinunter befohlen hat, die die Aufgabe haben, so viele Menschen wie möglich "einzusammeln" und mit an Bord zu nehmen, damit man mit ihnen experimentieren kann. Also bestimmt kein geeigneter Zufluchtsort für ihn. Aber hat er eine Wahl? Hier draußen wird er erfrieren - was nicht mehr allzu lange dauern dürfte, gemessen an seinem immer lauter werdenden Zähneklappern und der beginnenden Taubheit in seinen Gliedern. Er muss zurück in die Stadt, um sich dort wärmere Kleidung zu besorgen. Und danach? Eigentlich müsste er zurück aufs Schiff, um sich seinen temporalen portablen Transporter und seinen Kommunikator zurückzuholen, die sich jetzt bedauerlicherweise in Siliks Hand befinden. Dumm nur, dass Silik genau damit rechnen wird. Ja, wahrscheinlich sogar darauf hoffen wird, um John in die Finger zu bekommen und ein Exempel an ihm zu statuieren. Er wird keine Möglichkeit haben, sich ein zweites Mal unbemerkt auf Siliks Schiff zu schleichen. Seine Tarnung ist aufgeflogen. Welche Möglichkeiten bleiben ihm also? Es entweder trotzdem zu versuchen und dabei zu sterben oder es zu lassen und hier im 24. Jahrhundert gestrandet zu sein. In beiden Fällen läuft es auf das Gleiche hinaus: Sein Job würde nicht beendet werden und die Zukunft, von jetzt an gesehen, einen katastrophalen Verlauf nehmen. Er ist noch nie der Typ gewesen, der irgendetwas "gelassen" hätte.
John drückt sich aus dem Schnee hoch, holt tief Luft und setzt sich schließlich mit gleichmäßigen Laufschritten in Bewegung. Jedoch bloß ein paar Meter weiter stellt er fest, dass er die Kälte unterschätzt hat. Seine Füße, lediglich in weichen, dünnen Suliban-Stiefeln steckend, sind bereits gefühllos, so dass er ins Straucheln gerät. Mit seinem rechten, unversehrten Arm fängt er sich taumelnd ab, richtet sich wieder auf, läuft weiter. Wieder gerät er ins Straucheln, flucht, bleibt stehen. So wird das nichts. Stoßweise verlässt sein Atem seinen Mund. Sein Blick heftet sich verzweifelt auf den Stadtrand, während er fieberhaft überlegt. Eine Bewegung einige hundert Meter davor zieht seine Aufmerksamkeit auf sich. Zwei Gestalten tauchen hinter einer hohen Schneewehe auf und laufen geduckt auf die Stadt zu. Keine Suliban, dessen ist John sich sicher. Menschen. In Winterkleidung. Menschen, die, wenn er das richtig sieht, ein Gefährt zurücklassen - wenigstens sieht das dunkle, eckige Teil, das da im Mondlicht hinter der Schneewehe hervorlugt, auf die Entferung so aus wie das Heck eines solchen. John setzt sich wieder in Bewegung. Nicht laufend, das schafft er mit seinen tauben Füßen nicht, aber mit schnellen, wenn auch unsicheren Schritten. Und er hält auf jenes Gefährt zu, das die Menschen verlassen haben. Aus welchem Grund auch immer, vielleicht ist die Energiezufuhr defekt oder das Beförderungsmittel in irgendeiner anderen Weise kaputt. Fakt ist aber, dass es im Inneren dieses Gefährts wärmer sein wird als hier draußen. Wenn er sich dort nur ein wenig aufwärmen könnte, nur für ganz kurze Zeit - seine Füße massieren und die Blutzirkulation damit wieder anregen - wenn er dort vielleicht sogar Kleidung oder wenigstens eine Decke finden würde, dann könnte er seinen Rückweg zum Schiff danach fortsetzen. Möglicherweise würde er dort sogar eine Waffe vorfinden? Was seinen erbärmlichen Zustand deutlich verbessern würde. Und äußerst hilfrich wäre für sein weiteres Vorhaben.
Unter normalen Umständen hätte John in Betracht gezogen, dass das Fahrzeug vielleicht gar nicht verlassen ist. Er hätte sogar damit gerechnet und sich ihm vorsichtig genähert. Aber die unbarmherzige Kälte hat nicht nur seine Gliedmaßen betäubt, sondern auch seinen Verstand. Und so ist es lediglich Erleichterung, sein Ziel erreicht zu haben, die ihn durchflutet, als er schließlich eine Hand ans metallene Heck des Fahrzeugs legt. Um so erschrockener prallt er zurück, als er plötzlich in die Mündung einer Waffe sieht, die ihm mit den gezischten Worten "Noch einen Schritt weiter, und ich zerleg dich in deine Moleküle!" vor die Nase gehalten wird.
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