Hier bekam die Redewendung, dass manche Leute eine Leiche im Keller hatten, doch gleich eine ganz neue Bedeutung. Ganz definitiv war die Frau tot - zumindest, was ihr Menschsein betraf. Ich trat an den OP-Tisch heran und schob mit meinem Zeigefinger ihre Oberlippe in die Höhe. Scharfe Fangzähne blitzten mir entgegen und bestätigten meine Vermutung. Eine Vampirin, die man ausbluten ließ und deren Blut man auffing, um es als Droge zu verhökern. Ich wusste, dass der Konsum von Vampirblut Menschen einen Kick verschaffen konnte. Es gab eine Reihe wissenschaftlicher Tests darüber, die aus gutem Grund jedoch nie veröffentlicht worden waren. Die Wirkung jedoch, die das Blut auf Cole gehabt hatte, war überproportional hoch gewesen. Ich vermutete, dass das Vampirblut nur den Grundstoff für die Droge lieferte. Irgendetwas mussten sie hier noch hinein mixen, und das wollte ich herausfinden. Ich nahm mir zwei der Blutampullen und sah mich um. Das Labor war nicht sonderlich groß, und außer dem OP-Tisch und der Abpumpvorrichtung gab es nichts Interessantes darin. Hier wurde nur abgezapft und nicht veredelt. Wir mussten uns hier unten also noch ein bisschen weiter umsehen. "Okay, lass uns noch einen Blick in die übrigen Räume werfen und dann nichts wie raus hier!" Ich schob die zwei Ampullen in die Innentasche meiner Lederjacke. "Ich trau der verdammten Ruhe nicht. Der Raum hier war nicht abgeschlossen, und das ist schon seltsam genug." Die Kamera am Eingang ging mir wieder durch den Kopf. "Ich tippe mal auf stillen Alarm. Wir müssen uns beeilen." Cole nickte und wandte sich wieder der Tür zu. Ich schob mich am OP-Tisch vorbei und wollte ihm folgen, als sich plötzlich eine Hand in meine Jacke krallte. Ich hielt ruckartig an und starrte auf die Vampirin. Fluoreszierend leuchtende Augen starrten zurück, mit einem Ausdruck darin, wie ich ihn noch nie bei einem Untoten gesehen hatte. "Bitte ...", flüsterte sie flehend, "... tötet mich." Unter anderen Umständen hätte ich ihr diesen Wunsch sofort erfüllt. Doch ich wollte keine Spuren hinterlassen, die verraten würden, dass wir hier geschnüffelt hatten. "Ein andermal", murmelte ich und streifte ihre ohnehin schwache Hand ab. Cole sah mich über ihre Schulter hinweg kurz an, dann öffnete sie die Tür und wollte den Raum wieder verlassen. Ich packte sie an der Schulter und hielt sie zurück, denn ich hatte Geräusche gehört. "Da kommt jemand", raunte ich. Das war dann wohl die Kavallerie, die da die Treppe herunter kam - eigentlich auf leisen Sohlen, aber immer noch laut genug, dass ich es hören konnte. "Menschen", fügte ich murmelnd hinzu. Vampire hätte ich ganz sicher nicht gehört. Ich drückte die Tür vorsichtig wieder zu und sah mich im Raum um. Es gab nicht viele Versteckmöglichkeiten. Der OP-Tisch war im Grunde genommen die einzige. Ich zog meine SIG und bedeutete Cole mit dem Kopf, mir zu folgen. Sie runzelte kurz die Stirn - offenbar gefiehl ihr der Gedanke nicht, sich zu verkriechen - aber wenig später hockte sie neben mir unter der leise stöhnenden Vampirin. Vermutlich war es der Schlag unserer Herzen, das Rauschen unseres Blutes, das die Blutsaugerin über uns vorhin aus der Bewusstlosigkeit hatte aufwachen lassen und das sie jetzt unruhig machte. Ich überlegte kurz, dann öffnete ich von unten ihre Hand- und Fußschellen. Ein ausgehungerter Vampir würde uns möglicherweise von Nutzen sein können, je nachdem, wie sich das hier entwickelte.
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