Uns allen zerrte das Warten an den Nerven. Ich hatte einen Teil der Zeit damit überbrückt, indem ich einen Bericht über unsere Mission geschrieben hatte, welchen ich daraufhin an Doktor Salt geschickt hatte. Aber da diese Mission nicht von langer Dauer gewesen war, war dieser Bericht schnell geschrieben und ich danach ebenso wie die anderen gezwungen gewesen, mich in Geduld zu üben.
Doch die Warterei hatte jetzt ein Ende. Eine der Türen, die in diesen Behandlungsraum führten, wurde geöffnet, und Beckett kam herein. Sofort ging ich auf ihn zu, die anderen erhoben sich ebenfalls von ihren Plätzen und umringten den Doktor. "Und?" Beckett schüttelte den Kopf. "Keine Infektion. Die Quarantäne ist hiermit aufgehoben." Ein kollektives Aufatmen ging durch den Raum. Doch hatte ich eben noch angenommen, zumindest ein Teil unseres kleinen Teams würde nach einer solchen Meldung sofort das Weite suchen, musste ich jetzt feststellen, dass niemand ging, sondern alle weiterhin interessiert an den Lippen unseres Arztes hingen. Jeder wollte wissen - ich eingeschlossen - warum dieser Chase denn sonst in den Winterschlaf geschickt worden war, wenn nicht wegen einer Krankheit. "Und was ist nun mit unserem Besucher? Konnten Sie herausfinden, warum man ihn in Stasis versetzt hat?" Das Gesicht, das Beckett auf diese meine Frage hin zog, gefiel mir nicht. Es alarmierte mich sogar in gewisser Weise. "Ja, das konnte ich. Er ...", bedeutungsschwangere Pause, "... ist ein Wraith." Hatten vorhin alle kollektiv ausgeatmet, holten jetzt alle kollektiv Luft - ich wieder mit inbegriffen. "Ein Wraith? Sind Sie sicher, Doktor?" Eigentlich eine überflüssige Frage. Beckett hätte sowas gar nicht erst ausgesprochen, wenn er sich nicht sicher gewesen wäre. Unser Doc nickte nun auch und bestätigte damit meine Gedankengänge. "Seine DNS-Struktur ist die eines Wraith, auch wenn sie jetzt zum großen Teil humanoid ist. Dieser Zustand wurde jedoch künstlich hergestellt. Von den Antikern vermutlich, die damit offenbar denselben Versuch gefahren haben wie wir. Das war die gute Nachricht. Möchten Sie nun auch die schlechte hören?" Ich war nahe daran, nein zu sagen. Denn wenn das hier die gute Nachricht gewesen war, konnte ich auf die schlechte gut verzichten. Ich nickte trotzdem. "Wie bei unserem guten Michael damals ist das Ergebnis dieses Experiments nur ein temporäres. Der Zerfall der humanoiden DNS hat bereits begonnen, die Regeneration der Wraith-DNS ebenfalls." Ich fuhr mir durchs Haar und seufzte in Gedanken auf. Der wievielte Wraith war das jetzt, den wir hier auf Atlantis beherbergten? 'Zumindest besitzt er schon mal einen Namen.' "Verstehe. Weiß er es schon?" Beckett schüttelte den Kopf. "Wie lange noch, bis er merken wird, was mit ihm los ist?" Jetzt zuckte Beckett vage mit den Schultern. "Zwei, drei Tage? Vielleicht eine Woche. Mehr aber auf keinen Fall." Ich schürzte die Lippen und sah nachdenklich an Becketts Kopf vorbei zur Tür, die in den Nebenraum führte. Dort saß Chase jetzt vermutlich auf einer der Liegen und wartete darauf, was als nächstes geschehen sollte. Am liebsten hätte ich mich auch in so eine passive Rolle begeben, aber das war mir als militärischer Leiter dieses Außenpostens nicht möglich. An oberster Stelle stand die Sicherheit aller, und diese musste ich gewährleisten. Ich löste mich aus meiner Gedankenstarre und beorderte über mein Headset zwei bewaffnete Wachen vor die Krankenstation. Dann ging ich mit einem "Ich werde mich jetzt mal mit unserem Gast unterhalten" nach nebenan, weil ich beschlossen hatte, Chase lieber selbst reinen Wein einzuschenken, als es darauf ankommen zu lassen, dass er seine wahre Identität von allein erkannte. Vielleicht würde es ja etwas ändern. Vielleicht würde er gar nicht mehr zu dem werden wollen, was er einmal gewesen war. Vielleicht würde er sich für weitere Versuche der Genmanipulation zur Verfügung stellen, an der wir ja auch bereits seit längerem arbeiteten. 'Sicher, Sheppard! Ein Wraith, der lieber freiwillig bei uns Laborratte spielt, als zu seinem wahren Ich zurückzufinden! Wie wahrscheinlich ist das?' Es war mir klar, dass ich mir gerade etwas vormachte. Selbst, wenn Chase jetzt noch bereit wäre, auf meinen Vorschlag einzugehen, war doch abzusehen, dass er es sich anders überlegen würde, sobald seine Natur wieder vorherrschend wäre. Einen Versuch musste ich trotzdem unternehmen. Und so trat ich mit betont leger in die Hosentaschen geschobenen Händen den angrenzenden Raum, in dem Chase, wie ich vermutet hatte, auf einem der Betten saß und wartete. Und als ich zwei Schritte vor ihm zum Stehen gekommen und meinen Blick ernst in den seinen versenkt hatte, kam ich zur Sache. "Wir wissen jetzt, warum man Sie damals in der Stasis-Kammer zurückließ. Sie sind ein Wraith, Chase. Einer, den die Antiker vermutlich gefangen genommen und an dem sie medizinische Experimente durchgeführt hatten. Zur genetischen Umwandlung Ihrer Rasse in unsere. Das Experiment gelang jedoch nicht. Und als Ihr Volk den Antikern immer mehr zusetzte und letztere aus dieser Galaxis flohen, ließ man Sie zurück. Das Ganze ist jetzt über zehntausend Jahre her. So lange haben Sie in der Stasis-Kammer geschlafen." In dem Augenblick, in dem ich unserem neuen "Freund" die Augen über sich selbst öffnete, fragte ich mich, was die Antiker wohl dazu bewogen haben mochte, die Stasis-Kammer nicht einfach abgestellt zu haben. Sie hatten sowieso niemals vorgehabt zurückzukehren und ihr Experiment fortzusetzen. Sie hatten sich auf einen endgültigen Exodus begeben. Warum hatten sie ihr Versuchskaninchen nicht einfach umgebracht? Und wieso war Chase nie von seinesgleichen gefunden worden? Die Energiesignatur war doch auch für uns auffindbar gewesen. 'Ja, aber nur, weil uns dieser Hinweis auf das neue Sternentor in die Hände gefallen war. Ohne den hätte Chase noch weitere zehntausend Jahre in der Röhre gegammelt. Möglich, dass dieser Teil der Galaxis für die Wraith zu abgelegen gewesen war. Möglich, dass die Antiker ihn genau aus diesem Grund für ihre Forschungen an den Wraith ausgesucht hatten.'
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