Einige Tage später ...
Das Leben in Atlantis hatte sich wieder sortiert. Ich mich damit abgefunden, ungefragt einen neuen Major an meine Seite gestellt bekommen zu haben, Norrington sich an den Gedanken gewöhnt, von nun an Dienst in Afghanistan zu schieben - zumindest hoffte ich für ihn, dass dem so war. Wenn nicht, hätte er ein Problem. Darüber hinaus hatte die neue Leiterin Doktor Valerie Salt sich den Bewohnern von Atlantis in einer netten Ansprache vorgestellt und versichert, dass es ihr Bestreben wäre, den Alltag der hier lebenden Menschen so wenig wie möglich zu verändern. Das war sicher erfreulich, sorgten ja schon genügend andere Stressfaktoren dafür, dass es hier nie langweilig wurde. Jedoch glaubte ich ihr nicht so recht. Was jetzt nicht heißen soll, dass ich sie insgesamt für unglaubwürdig hielt. Eher für etwas blauäugig. Bisher hatte jeder neue zivile Leiter das Leben in Atlantis verändert, so wenig beabsichtigt das auch gewesen sein mag. Ich hatte Salts Aussage darum mit Skepsis zur Kenntnis genommen und mir meinen Teil gedacht. Und mich daraufhin erst einmal mit der Akte meines neuen Major auseinander gesetzt, die sich als so ungewöhnlich herausgestellt hatte, dass ich Salt und ihre Absichten übers Lesen schnell vergaß.
General Hammonds Tochter also ... na, da hatte ich mit meinem Vitamin-B-Verdacht ja gar nicht so falsch gelegen. Scheidungskind, das den Namen der Mutter führte, weshalb ich erst beim Lesen ihrer Akte die ganze Wahrheit erfuhr. Außerdem mit ihren dreiunddreißig Jahren doch älter, als ich gedacht hatte. Und ein Raufbold dazu, der seinem vorgesetzten Offizier die Faust zu schmecken gegeben hatte. Also wenn das unsere Zusammenarbeit nicht auf solide Füße stellte! Unwillkürlich hatte ich mir beim Lesen mein Kinn gerieben, dabei hatte ich mich gefragt, welchen Anlass Captain Wilkinson ihr wohl gegeben haben mochte, dass sie handgreiflich geworden war. Welchen Anlass sie überhaupt brauchte, um sich zu vergessen. Die Umstände der Attacke waren in der Akte nicht näher erklärt worden, was mich zugleich wunderte und beunruhigte. Es ließ mich die Situation nicht einschätzen, die zur Eskalation geführt hatte, und das gefiel mir einfach nicht. Wie sollte ich da Vertrauen aufbauen?
Aus diesem Grund war ich heute ein wenig nervös. Wir hatten in einem der noch nicht erkundeten, abgelegenen Teile von Atlantis die Koordinaten zu einem weiteren Stargate gefunden, welches sich nicht im All, sondern auf einem uns bislang noch unbekannten Planeten befand. Salt hatte daraufhin völlig richtig eine Expedition angeordnet, und diese sollte mit einem der neuen Puddlejumper erfolgen, die unsere Techniker anhand von in der Datenbank der Stadt gefundenen Konstruktionsplänen gebaut hatten. Das Expeditionsteam sollte aus fünf Personen bestehen: meiner eigenen Person als Expeditionsführer, Ronon Dex, Rodney McKay, Carson Beckett und Major Gibbs. Und gerade das Schlusslicht Gibbs war es, das mich kribbelig machte, eben weil ich sie nicht kannte und nicht einschätzen konnte und sie damit ein großer Unsicherheitsfaktor war, den ich nur widerstrebend akzeptierte. Wie viel lieber hätte ich Teyla mitgenommen! Aber seit sie ihrem Kind das Leben geschenkt hatte, war sie aus dem aktiven Dienst ausgeschieden und konzentrierte sich ganz auf ihre Aufgabe als Mutter. Teyla fiel also damit weg. Und ich blieb an Gibbs kleben. 'Na ja, vielleicht ganz gut, sich zuerst auf einer kleinen Expedition beschnuppern zu können.' Auf alle Fälle besser als bei einem Angriff durch die Wraith oder so. Die meisten Welten, in denen die Antiker die Gates gebaut hatten, waren friedlich, nur wenigen uns feindlich gesonnen. Die Chancen standen also gut, dass uns auf dieser Exkursion nichts Gefährliches erwartete und wir Gelegenheit bekommen würden, wärmer miteinander zu werden. Dieser Gedanke wollte mich gerade trösten und in etwas ruhigere Stimmung versetzen, als Rodney - Unruhefaktor Nummer Eins in Atlantis - dafür sorgte, dass ich mich wieder anspannte. "Cornel", sprach er mich mit der Kurzform meines Rangs an, als ich gerade den Jumper betreten wollte. Ich drehte mich an der Hecköffnung um und sah ihn fragend an - dann die junge Frau an seiner Seite, die, wie ich inzwischen wusste, seine neue Kollegin Serrano war, einer der Neuankömmlinge. "Was gibt's, Doktor?" "Cornel, ich würde es zu schätzen wissen, wenn Miss Serrano uns auf dieser Expedition begleiten dürfte." Ich zog meine Augenbrauen in die Höhe und sah Rodney abwartend an - war das schon alles? Selten formulierte er seine Anliegen so knapp. "Und warum sollte sie das tun? Ich sehe keine Notwendigkeit für einen zweiten Techniker an Bord." "Nun, das sehen Sie falsch." Natürlich, wie konnte es auch anders sein? Rodney holte tief Luft, was mich das Schlimmste befürchten ließ. "Wissen Sie, dies hier wäre ein gute Gelegenheit, ihr die Technik eines Jumpers im Einsatz vorzuführen. Wann, wenn nicht auf einer Expedition, sollte dies sonst geschehen? Ich halte es für äußerst wichtig, dass Miss Serrano ihr beträchtliches theoretisches Wissen praktisch untermauert. Und diese Expedition ..." "Können Sie mit einer Waffe umgehen?", schnitt ich McKay einfach das Wort ab, indem ich meines an Miss Serrano richtete - hätte ich das nicht getan, hätten wir den Aufbruch womöglich um einen Tag verschieben müssen, gemessen an dem Elan, den ich in den Augen des Doktors hatte blitzen sehen. "Mit einer Waffe??" Serrano sah mich entgeistert an. Ja, was denn? War meine Frage so ungewöhnlich in einer fremden Galaxis, in der uns die Wraith bekanntermaßen schon übel mitgespielt hatten? Zur Antwort nahm ich meine P90 aus meinem Halfter und hielt sie bezeichnend in die Höhe. "Damit!" Serrano schüttelte den Kopf. Ich ebenso. "Tut mir leid, aber dann lautet die Antwort Nein." Ich wandte mich wieder ab, um den Jumper zu betreten, doch McKay packte mich am Arm und hielt mich auf. "Sheppard, kommen Sie! Das war doch bei mir damals auch kein Kriterium gewesen! Erinnern Sie sich? Bei meinem ersten Schuss war mir das Magazin aus der Waffe gefallen!" "Das war was anderes." "Ach ja? Und wieso?" "Sie waren damals unser einziger Techniker." "Das ist nicht wahr! Zelenka war auch noch da!" "Ja, aber der konnte auch keine Waffe halten. Da war es also egal." Und wieder wandte ich mich ab. Wieder kam ich nicht weit. "Stufen Sie diese Expedition als gefährlich ein, Cornel?" Mit einem unhörbaren Seufzer drehte ich mich wieder um. "Was soll diese Frage jetzt, McKay?" "Ich möchte nur wissen, welchen Gefahrengrad Sie ihr beimessen. Weil wenn Sie sie als gefährlich einstufen, ich der Meinung bin, dass sich doch überraschend wenig Militär an Bord des Jumpers befindet. Nur Sie und der Major." "Ronon war ebenfalls beim Militär, vergessen Sie das nicht." "Aber er ist es nicht mehr!" "Haarspaltereien!" McKay wusste so gut wie ich, dass es in Bezug auf Kampffertigkeiten niemand in Atlantis mit Ronon Dex aufnehmen konnte. Er wollte mich nur mürbe machen mit dieser Diskussion. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ihm das auch gelang, denn mich quälten bereits jetzt Visionen, in denen der Doktor sich während des anstehenden Ausflugs stun-den-lang darüber beklagte, dass ich seinem Wunsch nicht entsprochen hatte. Mein genervter Blick schweifte vom Doktor zu Serrano. "Sie werden nur tun, was man Ihnen sagt?" Sie nickte wortlos. "Keine Eigenmächtigkeiten begehen? Immer schön bei uns bleiben?" Wieder ein Nicken. Ich gab nach. "Also gut. Schwingen Sie Ihren Hintern in den Jumper und setzen Sie sich neben McKay. Und schnallen Sie sich an. Und reden Sie während des Flugs nicht mit dem Piloten!" Die letzte Anweisung hätte ich eigentlich eher McKay als Serrano geben müssen, aber es war mir klar, dass das sowieso nutzlos gewesen wäre. Wahrscheinlich würde McKay mit seiner Plappersucht sogar jeden Wraith in die Flucht schlagen, der so dumm wäre, seine Hand an ihn zu legen. Über diesen Gedanken innerlich schmunzelnd schob ich die letzten beiden Passagiere vor mir her ins Innere des Jumpers hinein und verschloss die Heckklappe. Wenig später hatten wir Atlantis verlassen und flogen im Tarnmodus über eine sonnengeflutete Welt aus Wäldern, Wiesen und Bergen.
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