Wieder im Café in Salvador da Bahia, Brasilien, 5. März 1960
Ich saß wieder in Marcos Café und verschlang mit ziemlichen Bauchschmerzen mein Frühstück. Ich fühlte mich wie der letzte Depp. Es war praktisch ein Verbrechen eine solche Frau so zurückzulassen. Aber es war nun geschehen. Langsam drängte sich ein anderer Gedanke in meinen Kopf: Ich brauchte Geld! Vom Gitarrenspielen konnte ich nicht alt werden, zumal die Bar, in der ich spielte, täglich weniger Besucher hatte, als ich an zwei Händen abzählen konnte. Marcos empfahl mir zum Militär zu gehen, aber ich als Nichtbrasilianer hatte da keine Chancen. Es war aber nicht sein einziger Vorschlag. Er empfahl mir eine kleine Kneipe in der Nähe des Flughafens, in der sich ständig Mitarbeiter dieses peruanischen Frachtunternehmens aufhielten. Er sagte, sie wären gerade zu Besuch hier in Salvador. Schneller als er gucken konnte saß ich auch schon im Taxi auf dem Weg zum Flughafen. Auch teilte mir Marcos mit, dass Piloten sehr gefragt wären. Aber ob meine Lizenz denn auch in Brasilien oder Peru galt? Ich hoffte darauf. Ich betrat die Kneipe, wo ich schon die beiden Männer ausmachte. Ich sprach sie an: "Entschuldigung, gehören Sie zu Aeroservicios Peruanos?" Die beiden drehten sich ein wenig verwirrt um und lachten mich fröhlich an. "Haha, in der Tat! Und wer bist du, Knabe?", fragte der eine. "Äh ... Ferran Tàpies! Ich bin hier um mich bei Ihnen als Pilot zu bewerben", sagte ich und setzte mich dazu. "Haha, merkwürdiger Name, Fernando. Argentinier?" "Ne ... Spanier ... Katalane. Wie sieht es nun aus?" Sie lachten wieder. Ich befürchtete, dass sie mich nicht richtig ernst nahmen. Und ich hatte Recht ... "Geh' erst einmal weiter Modellflugzeuge bauen, bevor du dich in ein Cockpit setzt! Wir haben keinen Bedarf für Frischlinge ohne Erfahrung!" "Aber ich habe Erfahrung! Ich habe letztes Jahr als Mechaniker und Pilot in der spanischen Luftwaffe gedient!", entgegnete ich empört und knallte die Faust auf den Tisch. "Na, das will ich sehen. Ich wette, du kannst kein Variometer von einem Höhenmesser unterscheiden! Aber wenn du so darauf fixiert bist, dann wende dich an unseren Chef und nicht an uns! Und jetzt lass uns in Ruhe!" So schnell ging das! War es denn nicht möglich sie zu überzeugen, dass ich sehr wohl für diesen Job taugte? Vielleicht. Aber dazu musste ich nach Rio de Janeiro gelangen. Der Nachteil daran war, dass diese Millionenstadt etwa so weit entfernt war, wie Barcelona von Lissabon. Und ich konnte mir keinen Flug mehr leisten. Was war also zu tun? Ich wusste es nicht. Einmal aus Wut in die Hände klatschend verließ ich die Kneipe und machte mich auf den Weg zurück in die Stadt - zu Fuß, denn mein Geldbeutel wollte anscheinend, dass ich die frische Abendluft genießen konnte.
Wieder in meiner Wohnung, oder eher Abstellkammer, legte ich mich in mein Bett. Meine gesamten Privatsachen befanden sich noch in Spanien, da ich nur zwei Gepäckstücke für den Flug mitnehmen durfte. Bloß meine Gitarre und mein in der Ecke stehender Reiserucksack, dessen Inhalt im Schrank lag, befanden sich in diesem Zimmer. Ich öffnete das Fenster und schaute in die Gasse unter mir. Auch unter meiner Fünfzehn-Quadratmeter-Wohnung war jene Bar, in der ich jeden Abend spielte. Der Inhaber, der auch der Vermieter dieses Zimmers war, stellte es mir freundlicherweise zur Verfügung, aber trotzdem für einen Preis. Dafür war dieser sehr gering gehalten. Meine Blicke schweiften über die Menschenmassen, die an diesem Abend noch durch die Straßen zogen. Ich meinte sogar einen klassischen Gitarrenspieler spielen gehört zu haben. Aber das war wahrscheinlich bloß Einbildung. Ich zog die Ananas aus dem kleinen Kühlschrank und begann sie für die Paella zu zurechtzuschneiden. Es war eine tolle Arbeit. Meine Mutter hatte mir das Kochen noch vor ihrem Tod beigebracht, was mich ziemlich stolz machte. Mein Vater, der zwar kein begnadeter Koch gewesen war, dafür aber ein ausgezeichneter Pilot, hatte versucht mir jeden Tag Wissenswertes über die Fliegerei einzuflößen, was ich ihm sehr dankte, denn dieses Wissen war nun gefragt. Während ich auch die Krabben vorbereitete, dachte ich an die junge Frau aus dem Geschäft. Ich sollte mich eigentlich selber ohrfeigen, dass ich sie einfach so stehengelassen hatte ohne mich vernünftig zu verabschieden. Nachdem die Paella im Groben fertig war, stopfte ich sie in einen kleinen Behälter, stürmte aus der Wohnung und rannte in Richtung des Geschäfts. Was gab es denn Besseres um einen Fehler auszubügeln, als jemandem zum Essen einzuladen? Aber Voraussetzung war natürlich ihre Anwesenheit. Je länger ich rannte, desto mehr stellte ich mir die Frage, ob sie nicht vielleicht schon zu Hause wäre. Und es kam, wie es kommen musste. Das Geschäft war felsenfest verriegelt und sie war nirgends zu sehen. Natürlich, sie hatte auch gesagt, dass gleich schließen würde ... und das war eine Stunde her. Sie lag wahrscheinlich schon längst im Bett. Völlig fertig vom Rennen setzte ich mich auf die Stufe vor der Eingangstür ihres Geschäftes, den Behälter mit den Armen umklammernd. "Das war doch wohl abzusehen, du Depp!", sprach ich zu mir selbst. Es war wohl eine dieser Entscheidungen, die man mit der geringen Aussicht eines Hoffnungsschimmers völlig spontan fällte. Nach einer halben Stunde sinnlosem Wartens erhob ich mich, um wieder nach Hause zu gehen. Doch als ich gerade gehen wollte, wurde ich angesprochen. "Sag bloß, du willst um diese Uhrzeit noch etwas kaufen!", sagte eine etwas verrostete Frauenstimme. Ich schnellte herum und erkannte eine etwas ältere Frau mit etwa sechzig Jahren. Ich erkannte die Frau wieder. Es war die, die mit ihrem Mann an dem Abend gestritten hatte, als ich in diesem Geschäft war. "Nun, eigentlich ... Wissen Sie, Senhora, eigentlich habe ich gehofft hier jemanden wiederzusehen", sagte ich und wollte wieder das Weite suchen. "Du meinst Paloma?" Ich drehte mich wieder um und schaute sie etwas verwirrt an. War das der Name der Verkäuferin? Ich wusste es nicht. Vorsichtshalber nickte ich. "Naja, die ist jetzt Zuhause. Wenn du sie aber unbedingt noch treffen willst, dann beeile dich schleunigst. Das ist zwar jetzt noch nicht ihre Zeit, aber in Kürze wird sie friedlich schlummern", sagte sie lächelnd. Ich wollte wirklich nachts niemanden wecken, aber ich musste sie an diesem Abend treffen, denn ich überlegte nämlich am nächsten Tag in Richtung Rio de Janeiro zu fahren, um mich bei diesem Unternehmen zu melden. Deshalb betete ich, dass Paloma noch munter war. "Können Sie mir sagen, wo sie wohnt. Ich möchte bloß einen Fehler wieder gut machen", sagte ich hoffnungsvoll. "Nein, sie hat es nicht gerne, wenn jemand ihre Adresse erfährt ... Aber ich kann dich dorthin bringen." Na, das war mal wirklich ein Zufall. Ich riss die Augen auf und umarmte spontan diese nette Frau.
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